Zucker versüßt den meisten Kindern den Alltag. Doch genau das wird schnell zum Problem: Zucker ist so allgegenwärtig, dass es schnell zu viel wird. Die Sechs- bis Elfjährigen nehmen hierzulande anderthalbmal zu viel Lebensmittel mit viel Zuckergehalt zu sich, fand das Robert-Koch-Institut im vergangenen Jahr heraus. Mathilde Kersting ist Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung der Universitätskinderklinik Bochum und forscht zur Ernährung von Kindern.

ZEITmagazin ONLINE: Die Eissaison hat wieder angefangen. Um es nicht ausufern zu lassen, habe ich mit meinen siebenjährigen Zwillingen vereinbart, dass sie nur an geraden Tagen eine Kugel bekommen. Das funktioniert ganz gut. Aber ist das schon zu viel Zucker, an jedem zweiten Tag eine Kugel Eis?

Mathilde Kersting: Tja, da beginnen Sie gleich mit der Frage aller Fragen: Ab welcher Menge nehmen Kinder "zu viel Zucker" zu sich? Darüber streiten seit Jahrzehnten die Ernährungsmediziner. Ich war von 2017 bis 2021 externe Expertin in einer Arbeitsgruppe der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, in der wir für die Europäische Kommission einen Höchstwert für die tägliche Zuckerzufuhr bei Erwachsenen und Kindern nach Altersgruppen definieren sollten. Nachdem wir viele Studien begutachtet und selbst zum Thema geforscht hatten, wurde uns klar, dass die Thematik zu vielschichtig ist, um sie in eine einzige Zahl zu bannen. Wir haben uns letztlich auf die Empfehlung geeignet: Der Zuckerkonsum im Kindesalter und auch sonst sollte so gering wie möglich sein.

ZEITmagazin ONLINE: "So gering wie möglich" – das klingt alarmierend. Sollte ich das Eis also lieber ganz verbieten?

Kersting: Nein, das wäre der falsche Weg und auch nicht im Sinne der jetzt ermittelten Empfehlung. Mit dem So-gering-wie-möglich beziehen wir uns auch auf die Lebenswelt heute – und da gehören Süßigkeiten und Zucker nun einmal dazu. Wir haben hier am Forschungsdepartment Kinderernährung der Universitätskinderklinik Bochum ein "Konzept für Optimierte Mischkost" für Kinder und Jugendliche in Deutschland auf wissenschaftlichen Grundlagen aufgestellt. Das ist etwas konkreter. Es gleicht im Grunde den Empfehlungen der Europäischen Kommission, macht diese aber greifbarer und stellt sie in den Kontext der Gesamternährung. Wir empfehlen, dass maximal zehn Prozent der Kalorienzufuhr pro Tag durch zuckerreiche Lebensmittel wie Schokolade oder Limonade – von uns "geduldete Lebensmittel" genannt – aufgenommen werden sollten.

ZEITmagazin ONLINE: Wie viel ist das in etwa?

Kersting: Eine Kugel Eis am Tag trifft es bei einem Grundschulkind ganz gut. Als Faustregel kann man sagen: Einmal pro Tag darf ein Kind ruhig eine süße Sache bekommen – aber eben nicht mehr. Das heißt, wenn Ihre Kinder an einem geraden Tag eine Kugel Eis bekommen, dann sollten sie keinen Schokoriegel und auch keine Limonade mehr bekommen. In Ihrem Fall könnten die Kinder dann an den ungeraden Tagen jeweils eine andere Süßigkeit bekommen.

ZEITmagazin ONLINE: Was ist mit Obst? In vielen Obstsorten ist ja viel Fruchtzucker drin, zum Beispiel in Trauben. Zählt das auch als Süßigkeit?

Kersting: Obst ist völlig in Ordnung, wenn es nicht in Konzentraten oder Säften, sondern in der natürlichen Form als Stück gegessen wird und man sich dafür Zeit nimmt. Dabei nimmt man ja auch Ballaststoffe und Vitamine und andere gesundheitsförderliche Inhaltsstoffe zu sich. Man kann – wie von allem – auch von Obst nur eine begrenzte Menge essen, da signalisiert der Körper ein natürliches Limit. Ganz anders sieht es bei Quetschies oder Fruchtsäften aus: Zwar ist in einem Glas Apfelsaft dieselbe Zuckermenge enthalten wie in der entsprechenden Menge frischer Äpfel, aber die zerquetschen oder flüssigen Äpfel mit ihren Kalorien lassen sich einfach so wegschlürfen. Da kann man in kurzer Zeit unnatürlich große Mengen an Zucker zu sich nehmen. Bei Limonaden und Softdrinks ist das im Prinzip genauso.

ZEITmagazin ONLINE: Was sollten Kinder stattdessen trinken, wenn sie etwas mit Geschmack wollen?

Kersting: Am besten setzt man früh an: Die Kinder sollten gar nicht das ständige Bedürfnis haben, unbedingt etwas mit Geschmack trinken zu wollen. Wasser ist als Durstlöscher nun einmal das Beste. Wenn es gelingt, dass Kinder, wenn sie Durst haben, nach Wasser fragen und nicht nach Apfelschorle oder anderen gesüßten Getränken, dann hat man viel richtig gemacht bei der Ernährung seiner Kinder. Das lässt sich auch bei Acht- oder Neunjährigen und später noch erreichen.

ZEITmagazin ONLINE: Wie kann so eine Umgewöhnung aussehen?

Kersting: Mit meinen Mitarbeitern am damaligen Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund haben wir vor einigen Jahren eine Studie durchgeführt: An einigen Grundschulen aus Bezirken mit ausgeprägter sozialer Ungleichheit haben wir leitungsgebundene Wasserspender aufgestellt und vor dem Aufstellen und im Abstand eines Jahres nach dem Trinkverhalten der Kinder gefragt. Nach einem Jahr mit Wasserspendern in der Schule gaben die Schüler tatsächlich an, nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause öfter Leitungswasser statt Fruchtsäfte oder Limonade zu trinken, wenn sie Durst haben. In den Kontrollschulen, also in vergleichbaren Schulen ohne Wasserspender, hatten sich die Trinkgewohnheiten nicht geändert. Wir haben auch das Gewicht gemessen: Die Rate an Übergewicht gegenüber dem Altersnormalgewicht war tatsächlich gegenüber den Kontrollschulen vermindert. Beim Trinken einen Fokus auf Wasser zu legen und süße Getränke zu vermeiden, kann in vielen Fällen schon eine Menge bringen. Ideal und vor allem einfacher ist es natürlich, wenn die Kinder schon von Anfang an das richtige Trinkverhalten vermittelt bekommen. Im ersten Lebensjahr sollte man die Chance nutzen und die Kinder darauf prägen, dass sie bei Durst Wasser trinken und nicht etwa Fruchtsäfte oder andere gesüßte Getränke.