Die meisten Kinder bleiben von schweren Covid-19-Erkrankungen verschont, häufig verläuft die Infektion bei ihnen sogar symptomlos. Doch in sehr seltenen Fällen kann es Wochen später zu einer heftigen Entzündungsreaktion kommen, dem Pädiatrischen Inflammationssyndrom, kurz: PIMS. Worauf Eltern achten können, wenn ihr Kind kürzlich Corona hatte und plötzlich verdächtige Symptome zeigt.

Übersicht:

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Was ist ein PIMS und wie kommt es dazu?

PIMS ist die Abkürzung des englischen Begriffs Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome, auf Deutsch lässt sich das vereinfacht mit "Pädiatrisches Inflammationssyndrom" übersetzen. Das PIMS schlägt dann zu, wenn eigentlich schon alles vorbei sein sollte: Es tritt in der Regel zwei bis sechs Wochen nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 auf. Das kindliche Immunsystem, so die Annahme, zeigt in diesen Fällen eine Art Fehlreaktion und produziert vermehrt bestimmte Zelltypen und Botenstoffe wie T-Zellen und Interleukine. Diese überschießende Immunabwehr sorgt für eine Entzündungsreaktion, die häufig die Gefäße betrifft und verschiedene Beschwerden verursacht.

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Welche Symptome deuten auf PIMS hin?

Weil das PIMS erst einige Wochen nach einer Corona-Infektion auftritt und weil diese bei Kindern unbemerkt verlaufen kann, ist es manchmal schwierig, ein PIMS sofort zu erkennen. Insbesondere in Deutschland sind viele Kinderärzte allerdings für das PIMS inzwischen sensibilisiert und angesichts der derzeit hohen Corona-Inzidenz sehr aufmerksam, sodass sie bei typischen Krankheitszeichen schnell aktiv werden, versichern Fachleute.

Zu den charakteristischen Symptomen gehört lange andauerndes, ausgeprägtes Fieber, das sich nicht gut senken lässt. "Bei einem eher hohen Fieber, das über viele Tage anhält, sollte man in der aktuellen Pandemielage auch an ein PIMS denken", sagt Michael Schroth, Chefarzt der Pädiatrie und Neonatologie an der Cnopfschen Kinderklinik in Nürnberg. Mit vielen Tagen sind hier fünf Tage und mehr gemeint. Das kommt sonst nicht häufig vor: Bei den meisten Virusinfektionen geht das Fieber nach zwei bis drei Tagen wieder zurück.

Weitere häufige Symptome sind bei PIMS:

  • Unregelmäßigkeiten im Herz-Kreislauf-System, wie ein sehr niedriger Blutdruck oder eine niedrige Belastbarkeit wegen einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit der Herzfunktion. Das Kind ist schon nach kurzer körperlicher Anstrengung sehr schlapp und erschöpft. Da diese Symptome aber auch bei Fieber auftreten können, fallen Eltern die Unregelmäßigkeiten im Herz-Kreislauf-System meist kaum auf – hierfür braucht es in der Regel medizinische Expertise.
  • Haut- und Bindehautbeschwerden: vor allem Ausschläge in allen Variationen, am ganzen Körper oder auch nur an einzelnen Stellen, sowie Bindehautentzündungen im Auge.
  • Auch Luftnot, Husten sowie Kopf- und Nackenschmerzen können beim PIMS auftreten.

Diese Symptome können zusammen mit dem lange andauernden Fieber das Krankheitsbild als recht dramatisch erscheinen lassen.

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Wie kommen Ärzte zur Diagnose PIMS?

Die Diagnose ist meist zunächst eine Verdachtsdiagnose, die dann durch das Ausschließen anderer Erkrankungen bestätigt wird. "Es gibt zwar keinen Test, mit dem man ein PIMS direkt nachweisen kann", sagt der Kinderarzt Michael Schroth. "Aber anhand der Krankheitszeichen, der Vorgeschichte und auch anhand bestimmter Charakteristika bei den Laborwerten kann man ein PIMS doch recht gut erkennen." Dann gelte es nur noch, andere Erkrankungen auszuschließen. Bei den Laboruntersuchungen wird das Blut der Kinder immer auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 untersucht, denn die weisen auf eine vorangegangene Corona-Infektion hin, die womöglich unbemerkt verlaufen ist.

Abzugrenzen ist das PIMS vom sogenannten Kawasaki-Syndrom. Anders als das PIMS, das in der Corona-Pandemie erstmals beschrieben wurde und damit erst seit gut zwei Jahren bekannt ist, kennen Mediziner das Kawasaki-Syndrom schon länger. Es tritt ebenfalls nach Virusinfektionen auf, geht mit lange andauerndem Fieber einher und kann auch zu einer Entzündung der Gefäße führen. 

Trotz der Ähnlichkeiten sind PIMS und Kawasaki-Syndrom jedoch eigenständige Krankheitsbilder – denen aber vermutlich ähnliche Mechanismen im Körper zugrunde liegen. Eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale ist der Auslöser: Das PIMS wird explizit durch Sars-CoV-2 ausgelöst, beim Kawasaki-Syndrom können alle möglichen anderen Viren Auslöser sein. Außerdem betrifft das Kawasaki-Syndrom – anders als das PIMS – vor allem Kleinkinder.

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Wie häufig kommt PIMS vor?

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) 688 PIMS-Fälle über ein Melderegister des Uniklinikums Dresdens erfasst (Stand 13. Februar). "Es gibt sicher ein paar Fälle, die nicht gemeldet wurden, aber die meisten Fälle dürften in der Zahl enthalten sein", sagt Markus Knuf, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Worms und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI).

Angesichts der hohen Zahl coronainfizierter Kinder, die mittlerweile bei einigen Millionen liegt, ist die Zahl der PIMS-Erkrankungen niedrig. "Man kann davon ausgehen, dass von 2.000 bis 5.000 Kindern mit einer Sars-CoV-2-Infektion ein Kind ein PIMS entwickelt", sagt Knuf.

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Gibt es aktuell einen Anstieg der Fälle?

Weil das PIMS zwei bis sechs Wochen nach einer Covid-19-Infektion auftritt, dürften angesichts der aktuell sehr hohen Inzidenzzahlen in den nächsten Wochen noch weitere PIMS-Fälle auftreten. Noch ist ein solcher Anstieg nicht zu beobachten, die DGPI veröffentlicht wöchentlich ein Update.

"Die Frage ist auch, welche Sars-CoV-2-Variante eher die Entwicklung eines PIMS begünstigt", sagt der Kinderarzt Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. "Bei der Delta-Variante schien es noch seltener als zuvor zu PIMS zu kommen, bei der Omikron-Variante kann man es noch nicht abschließend beurteilen. Aber einen besonders auffälligen Anstieg an PIMS-Fällen sehen wir bislang nicht."

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Was ist im Notfall zu tun?

Wenn bei einem Kind ein PIMS auftritt, gelangt es in den allermeisten Fällen über den Kinder- und Jugendarzt an eine Klinik und wird dort stationär aufgenommen.

Natürlich können Eltern zunächst zu Hause versuchen, ein Fieber bei ihrem Kind in den Griff zu bekommen. Spätestens wenn das Fieber aber länger andauert und noch andere verdächtige Symptome wie Hautausschläge dazukommen, sollte man die Kinderärztin oder den Kinderarzt aufsuchen. Wenn diese einen Verdacht auf PIMS haben, werden sie das Kind in eine Klinik überweisen. Falls der Kinderarzt nicht an ein PIMS denkt, können Eltern das Thema selbst ansprechen, vor allem, wenn sie wissen, dass ihr Kind kürzlich eine Corona-Infektion durchgemacht hat.

Verschlechtert sich der Zustand das Kindes rasch und ist die behandelnde Kinderärztin oder der behandelnde Kinderarzt nicht unmittelbar greifbar – etwa am Wochenende –, sollte man direkt die Kindernotaufnahme einer Klinik aufsuchen.

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Wie gefährlich ist PIMS?

Fest steht: Ein PIMS verläuft mit ausgeprägten Krankheitszeichen. Und es muss in fast allen Fällen stationär behandelt werden. "Ungefähr 20 Prozent der etwa 3.300 Kinder, die hierzulande seit Beginn der Pandemie in Verbindung mit einer Sars-CoV-2-Infektion stationär aufgenommen werden mussten, waren wegen eines PIMS im Krankenhaus. Damit ist das PIMS eine der häufigeren Sars-CoV-2-Komplikationen bei Kindern, die stationär behandlungsbedürftig sind", sagt Rodeck.

Doch sind die Kinder erst einmal in Behandlung, bekommen die Mediziner das PIMS normalerweise schnell in den Griff. "Bisher ist unseres Wissens in Deutschland während der gesamten Pandemie kein einziges Kind wegen eines PIMS gestorben", sagt Rodeck.

Im Ausland allerdings gab es bereits Todesfälle. Studien zum Thema geben an, dass 1,5 Prozent aller PIMS-Fälle tödlich verlaufen (Paediatric Respiratory Reviews: Radia et al., 2021).

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Welche Behandlung hilft dagegen?

Wie beim Kawasaki-Syndrom zielt auch die PIMS-Therapie darauf ab, das überreagierende Immunsystem etwas zu dämpfen. Dazu gibt man intravenös eine Kombination aus dem Glukokortikoid Kortison und Antikörpern, die wiederum Teile des Abwehrsystems, sogenannte Immunkomplexe, binden und damit deaktivieren. 

"Mit dieser Kombination haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Meist geht es den Kindern bereits ein bis zwei Tage nach Beginn der Behandlung schon deutlich besser", sagt der Pädiater Michael Schroth aus Nürnberg.

Deshalb sei der entscheidende Punkt für die Gesundheit der Kinder, dass das PIMS überhaupt erkannt wird. "Unbehandelt kann ein PIMS im Laufe der Zeit lebensgefährlich werden. Aber sobald wir wissen, dass wir es mit einem PIMS zu tun haben, können wir den Kindern sehr schnell helfen", sagt Schroth.

Weil die Glukokortikoide und die Antikörper über eine Infusion verabreicht werden, muss die Therapie stationär erfolgen.

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Kann es langfristige Schäden geben?

Selbst wenn bei der Entlassung aus dem Krankenhaus manchmal noch Beschwerden als Folge des PIMS vorhanden sind, darunter etwa geringe Belastbarkeit, so verschwinden sie in den allermeisten Fällen nach wenigen Wochen.

"Nur bei etwa fünf Prozent bleiben nach derzeitigem Kenntnisstand Folgeschäden. In den allermeisten Fällen sind das Schäden, die durch die Entzündungen der Gefäße im Herz-Kreislauf-System entstanden sind. Insbesondere das Herz kann in Mitleidenschaft gezogen werden, was mit einer verminderten Leistungsfähigkeit einhergehen kann", sagt Rodeck. Inwieweit diese Folgen tatsächlich dauerhaft sind, könne man noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen, weil das PIMS als eigenständige Krankheit eben erst seit gut zwei Jahren bekannt ist.

Hoffnung machen hier die Erfahrungen mit dem Kawasaki-Syndrom, das dem PIMS sehr ähnlich ist: Die Entzündungen der kleinen Gefäße heilen in aller Regel nach einiger Zeit wieder vollständig aus.

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Haben bestimmte Kinder ein erhöhtes Risiko für PIMS?

Warum manche Kinder diese Entzündungsreaktion entwickeln und andere nicht, ist noch nicht ausreichend geklärt. "Es gibt vermutlich genetische Dispositionen, die ein PIMS wahrscheinlicher machen", sagt der Kinderarzt Markus Knuf.

Risikofaktoren sind kaum bekannt. Mehr als 80 Prozent der Kinder mit PIMS haben keine Vorerkrankungen (eClinicalMedicine: Ahmed et al., 2020). Und ein überwiegender Teil der PIMS-Fälle tritt nach Corona-Infektionen auf, die ohne Symptome verlaufen sind (Jama Pediatrics: Belay et al., 2021).

Jungen sind etwas häufiger betroffen als Mädchen, ein leicht erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines PIMS scheinen Kinder mit Übergewicht und mit Trisomie 21 zu haben.

Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei neun Jahren. "Ein PIMS tritt tendenziell eher bei Kindern im Schulalter auf als bei sehr jungen Kindern", sagt Markus Knuf. 

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Schützt eine Corona-Impfung vor PIMS?

In aller Kürze: Ja. "Die Impfung schützt vor Covid-19, somit auch vor PIMS. Studien zufolge tritt bei geimpften Kindern ein PIMS noch seltener auf als bei ungeimpften Kindern", sagt Rodeck (CDC: Zambrano et al., 2022).

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